«Goblin Mode» als Wort des Jahres – Wieso wir uns wie faule, griesgrämige Kobolde aufführen
Die renommierte Sprachinstanz Oxford English Dictionary hat «Goblin Mode» zum Wort des Jahres gekürt. Was hinter dem Begriff steckt und was er über unseren Zeitgeist aussagt.
Lisa Füllemann
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Zum ersten Mal überhaupt wurde das Oxford-Wort des Jahres dieses Jahr von der Öffentlichkeit gewählt. Zwar stellteeine Gruppe von Lexikografen des Oxford English Dictionary beliebte Wörter wie «Metaverse» und «#IStandWith» zur Auswahl – doch unglaubliche 93 Prozent der rund 300’000 Abstimmungsteilnehmer und -teilnehmerinnen waren sich einig: Das Wort, das die Stimmung der letzten 12 Monate am besten widerspiegelt, ist «Goblin Mode».
Wurde letztes Jahr noch passend zur Corona-Pandemie das omnipräsente Wort «Vax» (kurz für «vaccine», also Impfung) zum Wort des Jahres gekürt, ist «Goblin Mode» eine höchst überraschende Wahl – schliesslich dürfte der Ausdruck hierzulande nur wenigen ein Begriff sein. Was steckt dahinter?
«Goblin Mode» (auf Deutsch so viel wie «Kobold-Modus» oder «Kobold-Werdung») ist ein Begriff, der aus der Überlagerung aktueller Krisen heraus entstanden ist – vor allem aus der Corona-Pandemie. Dieses Bild aus Zeiten des Lockdown kennt wohl jeder: In der Küche stapeln sich die Pizza-Kartons, im Badezimmer häuft sich die dreckige Wäsche – aber da man sowieso nur in den Trainerhosen auf dem Sofa Netflix bingewatcht, ist das eigentlich ziemlich egal. Die so entstandene «Who cares»-Attitüde fasst der Ausdruck «sich im Goblin Mode befinden» perfekt zusammen.
Rebellion gegen den Selbstverwirklichungstrend
Gemäss einer Pressemitteilung der Oxford University Press (OUP), der Herausgeberin des Oxford English Dictionary, bezieht sich der Slang-Begriff nämlich auf eine Art von Verhalten, das «unverschämt egoistisch, faul, schlampig oder gierig ist, typischerweise in einer Weise, die soziale Normen oder Erwartungen ablehnt».
Das Wort fange die vorherrschende Stimmung von Menschen ein, die die Idee einer Rückkehr zum «normalen Leben» selbst nach Ende des Lockdown ablehnten. So rebelliert man im «Goblin Mode» nämlich auch gegen den Selbstverwirklichungstrend, der während der Pandemie auf Social Media überhandgenommen hat.
Anstatt eines frühmorgendlichen Work-outs auf dem Peloton, gefolgt von einem gesunden Green-Smoothie, pfeift man als Kobold darauf, sich ständig perfekt und ästhetisch zeigen zu müssen. So schleicht man lieber um zwei Uhr nachts in die Küche, um Müsli direkt aus der Packung zu essen.
Ein Meme machte den Begriff populär
Aufgekommen ist der Begriff «Goblin Mode» auf Twitter bereits im Jahr 2009 – laut Google Trends wurde er dann aber im Februar 2022 aufgrund eines viral gegangenen Tweets populär. Darin hatte eine Twitter-Nutzerin namens Juniper als Scherz eine News-Schlagzeile manipuliert, in der es um das Beziehungs-Aus zwischen Rapper Kanye West und Schauspielerin Julia Fox ging. Mit Photoshop fügte sie eine erfundene Aussage von Fox hinzu, in der sie behauptete, dass ihr «Goblin Mode» Grund ihrer Trennung gewesen sei.Die Fake News wurden nicht nur tausendfach geliket und geteilt – Medien griffen das erfundene Zitat bald auf und untersuchten den Begriff auf seine Etymologie.
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Auf die Idee für die manipulierte News-Schlagzeile gekommen war Juniper, weil Kobolde in der Online-Welt gerade ein Momentum hätten, wie sie im Februar zu «Insider»sagte. So ging im Jahr 2021ein Geständnis eines Reddit-Users viral, in dem er offenbarte, dass er sich zu Hause oft wie ein Kobold verhalte, um Stress abzubauen.
Er laufe gerne gebückt und einen Sack auf den Schultern tragend durchs Haus, während er koboldartige Geräusche von sich gebe. Da Twitter-Nutzerin Juniper Julia Fox «irgendwie seltsam» fand, habe sie es realistisch gefunden, dass die Schauspielerin etwas zum Thema Kobold von sich gebe – und erschuf damit ein virales Meme, auf das auch Fox reagierte. «Nur fürs Protokoll. Ich habe nie den Begriff Goblin-Mode verwendet», schrieb Fox auf Twitter.
«Goblin Mode» ist eine Antwort auf ein schwieriges Jahr
Was «Goblin Mode» aber genau bedeutet, weiss Juniper laut eigener Aussage selber nicht. Auch auf «Urban Dictionary»spalten sich die Meinungen. Während «Goblin Mode» für die einen eine sexuelle Praktik ist, bei der man unter anderem «manisch lacht», beschreibt es für andere wiederum einen stark alkoholisierten oder gar schizophrenen Zustand.
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Die beliebteste Definition scheint jedoch zu sein, dass man im Falle einer Existenzkrise zum Goblin werde – vielleicht aus einer Ratlosigkeit heraus. Das passt in den Zeitgeist – denn «Goblin Mode» ist eine nihilistische Antwort auf ein schwieriges Jahr, das von Pandemie, Krieg und Klimakrise geprägt ist.
Dass sich Menschen im Zuge dieser Krisenimmer mehr von mühsamen sozialen Normen verabschieden, zeigt laut Oxford-Language-Chef Casper Grathwohl auch die populäre App Bereal, auf der Nutzer unbearbeitete und auch unvorteilhafte Bilder von sich teilen. «Die Menschen begrüssen ihren inneren Goblin», so Grathwohl.
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Lisa Füllemann ist Gesellschaftsredaktorin im Ressort Leben und schreibt schwerpunktmässig über gesellschaftliche und popkulturelle Trends und Debatten – insbesondere in den Bereichen Mode, Lifestyle und Unterhaltung.Mehr Infos
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